Von Mattmark zum Weissmies
Einsam unterwegs an der Grenze zu Italien
ca. 6 Minuten LesezeitMittwoch: Mattmark – Biv. Antigine – Ofentalhorn (T3) Am Mittwoch Vormittag starte ich in Mattmark beim Stausee. Auf dem gut markierten Wanderweg geht es ins einsame Ofental hinein, wo ich nur noch wenige Leute treffe. Vorbei an der sinkenden Erde (Flurname im Bereich 2550m) wandere ich bis hoch zum Ofentalpass, wo sich mein erstes Nachtlager, die Biwakschachtel Antigine befindet.
Nachdem ich vom nahegelegenen Schneefeld Schmelzwasser gesammelt habe, erkunde ich am Nachmittag die Gegend und steige auf das Ofentalhorn. Die Aussicht in Richtung Monte Rosa bleibt mir jedoch wegen den Wolken verwehrt.
Das Bivacco Antigine ist einfach eingerichtet: Matratzen und Wolldecken sind vorhanden, ebenso etwas Geschirr und Besteck. Und ein Hüttenbuch aus dem Jahr 1984, das noch immer leere Seiten aufweist. Gaskocher und einen Schlafsack sollte man selber mitbringen. Im und ums Biwak mache ich mir es gemütlich mit kochen, lesen, rauchen, ausruhen, Steinböcke beobachten – hier ist man für sich alleine. Am Abend klärt der Himmel etwas auf, doch vom Süden zieht beständig Nebel empor – eine wohl klassische Wetterlage.
Donnerstag: Biv. Antigine – Biv. Varese (T4 am Passo delle Coronette) Am nächsten Morgen, nach Müesli und Kaffee und dem Besuch einiger Steinböcke, steige ich auf dem Wanderweg zur Alpe Laugera hinunter. Auch heute hängt dichter Nebel über dem Tal, der sich nur ab und zu etwas lichtet. Die Wegspuren sind nicht immer ganz eindeutig, die Markierungen jedoch zahlreich. Nun wird’s plötzlich angenehm: Von der Alpe Laugera folgt der Wanderweg einer Wasserleitung, auf der man bequem gehen kann. Bald einmal verschwindet die Leitung jedoch im Fels und man muss einige Höhenmeter absteigen und den Felsgrat umgehen. Später steigt man wieder hoch und gelangt wiederum zur Wasserleitung, die zum Stausee Lago di Cingino führt. Hier sind wiederum Steinböcke da: Sie stehen in der steilen Staumauer und lecken sich etwas vom Gestein. Wirklich beeindruckend, wie sich schon die kleinen Steinböcke behende in solchem Gelände bewegen können!
Nun folgt der wohl spannendste Teil der Tagesetappe: Man überquert die Staumauer, steigt einige Höhenmeter nach Südosten ab und begibt sich bei einem kleinen Häuschen in die Unterwelt: Ein langer Tunnel mit einer Wasserleitung führt mitten durch den Berg. Etwa zwei Kilometer lang geht man leicht geduckt durch den schwach beleuchteten Stollen, es tröpfelt da und dort, die Tritte hallen und verhallen, etwas gruselig ist das schon. Beim Ausgang dann noch der Hinweis, dass die Radon-Konzentration hier drinnen erhöht ist. Soso.
Nun geht es weiter, wieder im Nebel, entlang einer Wasserleitung, die plötzlich aufsteilt und zum Lago di Camposecco hochführt. Hier befindet sich das Bivacco Camposecco; dasselbe Modell wie das Bivacco Antigine, aber etwas besser ausgerüstet. Auf der Staumauer treffe ich denn auch die einzigen Leute heute – zwei Fischer, die sich Forellen aus dem See ziehen. Weiter geht es auf dem Wanderweg hoch zum Passo delle Coronette, über Geröll und später etwas steiler durch den Fels, mit einer Kette gesichert. Auch hier leider keine Aussicht, nur Nebel. Vom Pass könnte man direkt rübersehen zum Bivacco Varese, meinem heutigen Tagesziel. Wiederum auf gut markierten Pfaden wandere ich vom Pass runter zur Moräne des Ghiaccaio del Bottarello. Dort werden die Wegspuren immer schwacher, die Markierungen spärlicher und schliesslich habe ich den Weg im Nebel verloren. Mit Kompass, Höhenmeter und Karte finde ich das Bivacco Varese schlussendlich aber doch noch. Es thront stolz auf einem Felssporn, der vom Mittelrück/Pizzo di Loranco herunterzieht.
Als ich beim Biwak ankomme, bemerke ich die Steinbockfamilie, die mir den ganzen Nachmittag, Abend, während der ganzen Nacht und auch am kommenden Morgen Gesellschaft leisten wird: Zwei Steingeissen, zwei Halbwüchsige und drei junge Steingeisslein. Anfänglich sind sie noch etwas scheu, doch sobald ich etwas Salz auf die Steine streue, kommen die Steingeissen heran und tun sich daran genüsslich. Das Biwak hat sechs Schlafplätze, einen Tisch und zwei Kanister, mit denen man Wasser holen kann. Beim nahegelegenen Bach hört man das Wasser gluckern und plätschern; es fliesst jedoch zwischen den Steinblöcken ca. 1m unter der Oberfläche und ist deshalb nicht zugänglich. Ich muss bestimmt 100 Höhenmeter aufsteigen, bis ich eine Stelle finde, wo das Wasser auch an die Oberfläche tritt.
Freitag: Biv. Varese – Zwischbergenpass – Almagellerhütte (T4) Am nächsten Morgen erwache ich um 5.45 Uhr. Ein Blick aus dem Fensterchen, und schon bin ich hellwach: Der Nebel hat sich verzogen und am Himmel kündigt sich ein wunderschöner Tag an. Was für eine Aussicht über das Nebelmeer und zum Horizont, wo die Farben der Dämmerung allmählich den ersten Sonnenstrahlen weichen müssen.
Nach dem Morgenessen folge ich dem Wanderweg hinunter zum Rifugio Andolla und steige dann hoch zum Passo d’Andolla. Hier ein kleiner Abstecher zur Cima Dora. Nach ausgiebiger Pause mahnen die aufziehenden Wolken zum Aufbruch. Es geht nun, wieder entlang den Schweizer weiss-rot-weiss-Markierungen (in Italien waren sie rot-weiss-rot) hinunter ins Zwischbergental. Auf der Höhe von ca. 2120m verlässt man den Wanderweg, der in Richtung Zwischbergen führt und folgt einem Trampelpfad, vorbei an einer Alphütten-Ruine – teilweise ziemlich botanisch – bis zum Zwischbergenbach, den man auf ca. 2080m überqueren kann.
Nun sucht man die Wegspuren, die zur Alp auf 2160m führen. Von hier alles dem Weg entlang – zuerst weiss-rot-weiss, später weiss-blau-weiss – bis hoch zum Zwischbergenpass. Der Weg zieht sich ganz schön in die Länge und zehren an den Kräften. Es sind denn aber auch fast 1200Hm, die man vom Überqueren des Baches bis hoch zum Pass vernichten muss. Das weiss-blau-weiss im oberen Bereich ist sicherlich gerechtfertigt. Hier bewegt man sich in einer eindrücklichen, wilden Alpinlandschaft, in der die Kraft der Natur spür- und sichtbar wird. Vom Zwischbergenpass ist es dann nicht mehr weit zur Almagellerhütte, die ich am frühen Nachmittag erreiche.
Samstag: Weissmies (WS, II) Am nächsten Morgen starte ich kurz nach 4 Uhr zum Weissmies. In der Dunkelheit steige ich wieder zum Zwischbergenpass hinauf und folge dann den Spuren durch den Schnee bis hoch auf ca. 3800m, wo man auf den Felsgrat wechselt. Wiederum bricht die Dämmerung eines neuen Tages an. Eigentlich wollte ich hier den Sonnenaufgang geniessen. Doch dieser lässt auf sich warten. Erst als ich auf dem Vorgipfel ankomme, geht die Sonne auf. Ein wunderschöner, emotionaler Moment, wenn man in den ersten Sonnenstrahlen des Tages ganz alleine auf den letzten Metern zum Gipfel hochsteigen darf!
Hinunter geht es auf derselben Route zur Almagellerhütte, wo mir zahlreiche Seilschaften entgegen kommen. Interessanterweise hatte ich die Felspartie viel schwieriger in Erinnerung, als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal auf dem Weissmies stand. Von der Almagellerhütte dann in zügigem Tempo hinunter nach Saas-Almagell, von wo mich das Postauto wieder in tiefere Lagen bringen wird.
Fazit Eine wirklich tolle Tour, bei der ich vor allem die Einsamkeit und Abgeschiedenheit schätzte. In den zwei Tagen zwischen dem Ofental und der Almagellerhütte bin ich gerade 3 Wanderern begegnet (und zwei Fischern und einigen Alphirten beim Rif. Andolla) – hier ist man wirklich für sich! Glücklich gemacht haben mich auch die Begegnungen mit den Steinböcken; es war schon lange ein Traum von mir, Steinböcke in aller Ruhe einmal beobachten und fotografieren zu dürfen. Und schliesslich war der ‚Abstecher‘ auf’s Weissmies eine tolle Erfahrung, weil ich dort die für diesen Gipfel eher seltene Bergeinsamkeit geniessen durfte.
Die Idee für diese Tour stammt von Hikr.org-User Basodino, siehe 🔗hier. Vielen Dank dafür.
- Datum
14. August 2013
bis 17. August 2013
- Region
Wallis
- Teilnehmer
Alex
- Höhenmeter
5000m Aufstieg
5600m Abstieg
- Distanz53km
- SchwierigkeitT4WSII