🥾 Wanderung26. Juli 2009 - 1. August 2009

Via Alta della Verzasca / Etappen 1 & 2

Eine Woche auf der Gratschneide zwischen Valle Verzasca und Leventina

ca. 7 Minuten Lesezeit

Eine mehrtägige Wanderung auf der Gratschneide zwischen Valle Verzasca und Leventina.

Uns hatte schon länger mal interessiert, wie sich eine Tour auf einer T6-Route anfühlen würde. Auf der SAC-Wanderskala wird als Beispiel für T6 immer wieder die Via alta della Verzasca (VAV) angegeben. Nach einiger Recherche im Internet beschlossen wir, die Begehung dieser Höhenwanderung zu versuchen.

Tag 1: Anreise, Adrenalin-Kick und Alpe Odro

Mit dem Zug gehts bequem durch den Gotthard nach Locarno. Von dort mit dem Postauto Richtung Verzascatal. Bei der „Diga di Verzasca“, der dritthöchsten Staumauer der Schweiz, steigen wir aus und holen uns den Adrenalinkick für die nächsten Tage beim Bungee Jumping.

Weiter gehts per Autostopp und zu Fuss nach Vogorno und zur Alpe Odro. Die schweren Rucksäcke und die (mangelnde?) Kondition machen sich bereits bemerkbar. Nach etwa zwei Stunden Aufstieg durch schöne Wälder (wir sehen viele Eidechsen) erreichen wir die schmucke Alpe Odro, wo wir uns bald frisch geduscht ins Bett legen.

Tag 2: Über den Pizzo di Vogorno zur Capanna Borgna

Nach einem feinen Morgenessen mit Ziegenmilch (ist Geschmacksache) geht es weiter zur Alpe Bardughe (ca. 1h), und von dort auf den Pizzo di Vogorno. Allmählich zieht Nebel auf, die Aussicht zum Lago Maggiore bleibt uns verwehrt.

Beim Abstieg (Richtung Rienza) verlieren wir die Wegspur, und traversieren über Alpenweiden zur Capanna Borgna, welche schon von weitem sichtbar ist.

Dort angekommen, treffen wir auf eine Gruppe der SEV, welche sich ebenfalls auf die VAV begeben will. Die beiden Borgna-Hütten sind bis auf den letzten Platz besetzt.

Tag 3: Etappe 1 (Capanna Borgna – Capanna Cornavosa)

Um 6.30 gehts über die Bocchetta di Cazzane Richtung Bocchetta di Leis, im oberen Talkessel immer etwa die Höhe haltend. Von der Bocchetta di Leis bis zum Poncione di Piotta führen die Markierungen zum ersten Mal auf und knapp unter dem Grat. Da fühlen wir zum ersten Mal dieses ‚VAV-Feeling‘, wie es in anderen Tourenberichten zu lesen war. Auf dem Poncione di Piotta (2439m) machen wir die erste Pause neben dem prächtigen Gipfel-Steinmannli.

Von nun an geht es, immer auf oder kurz unter dem Grat, über grössere und kleinere Blöcke, aber immer wieder durch Haltegriffe entschäft, weiter. Am Cima delle Cengia delle Pecore östlich vorbei, dann wieder auf den Grat, um sogleich den Cima del Picoll etwas unter dem Gipfel westlich zu umgehen. Bei P. 2367 (Sella) wollten wir ursprünglich Mittagessen; weil wir bis anhin jedoch sehr gut vorangekommen sind, beschliessen wir, gleich weiter zu gehen. Die Route führt nun auf einem schmalen Weg, die Höhe haltend, zur Bocchetta del Venn. Von diesem Talkessel eröffnet sich die wunderbare Sicht auf den bisherigen Routenverlauf. Uns verwundert, welch grosse Distanzen man in einem Tag zurücklegen kann. Das Trinkwasser geht uns unterdessen aus, und so müssen wir uns mit Regenpfützen begnügen, welche sich in den Felslöchern beim Gewitter von letzter Nacht angesammelt haben (ist im Nachhinein nicht sehr zu empfehlen…). Von der Bocchetta del Venn ist bereits die Alpe Cornavosa, unser Tagesziel, sichtbar, welches wir wenige Zeit später erreichen. Die Capanna Cornavosa befindet sich zwar noch im Bau; Koch- und Schlafmöglichkeiten sind aber vorhanden.

Das Fazit nach dem ersten Tag VAV: Wir haben es uns schwieriger vorgestellt. Bis jetzt waren alle schwierigen Stellen merklich entschärft. Die Markierungen zu finden, ist bei guter Sicht kein Problem.

Tag 4: Capanna Cornavosa – Poncione Rosso – Alpe Fümegna

Heute machen wir einen Tag Pause, um zu vermeiden, dass wir uns mit grossen Gruppe der SEV nochmals in eine Hütte drängen müssen. So gehts nach gemütlichem Ausschlafen zum P. 2005 und von dort Richtung Alpe Fümegna. Auf halben Weg wählen wir die Abzweigung zur Forcarella di Lodrino (durchgehend markiert). Weiter führt der Weg, immer leicht unter dem Grat, unter den Poncione di Rosso, welcher sich immer majestätischer über uns erhebt. In einfacher Kletterei führt die Route über Platten hoch zum Gipfel (2505m), immer gut markiert. Oben bleiben wir nur kurz, da sich das Wetter allmählich verschlechtert. Zurück VAV-Route auf demselben Weg und von dort weiter zur Alpe Fümegna, die im Sommer bewirtschaftet ist. Dort erwartet uns eine Dusche, ein feines Znacht und ein heimeliges Zweizimmer zum Übernachten.

Tag 5: Etappe 2 (Alpe Fümegna – Capanna Efra)

Am nächsten Tag geht es weiter auf der eigentlichen VAV-Route. Von der Alpe Fümegna hoch zur Bassa und von dort auf den Cima Lunga, wo wir die prächtige Aussicht geniessen und zum Pocione Rosso zurückblicken. Weiter auf dem grasigen Grat südwestlich zur Bocchetta di Fümegna. Dort verlassen wird den Grat und queren den Kessel unterhalb des Cima di Bri, um dann beim Passo di Bri wieder auf den Grat zu steigen. Die zweite Etappe der VAV präsentiert sich weniger felsig als die erste. Grosse Teile führen über sehr schöne, grasbewachsene Gräte, die bei trockenem Wetter einfach zu begehen sind. Über den Cima di Rierna den Cima del Rosso erreichen wir den Cima di Gagnone, der schon von weitem sichtbar ist. Nach einem kurzen Rast geht es runter zur Bocchetta dello Scaiee mit der Schlüsselstelle dieser Etappe – einer Felsplatte, die heute jedoch unschwer passierbar ist. Von dort erkennen wir bereits die Capanna Efra, zu welcher wir auf dem markierten Wanderweg hinuntersteigen.

Tag 6: Schlechtes Wetter, gute Laune

Nach einem gemütlichen Abend in der Capanna Efra beschliessen wir heute, aufgrund der Wetterverhältnisse einen Ruhetag einzulegen. Der Nebel hängt tief, es regnet, und wir wollen nichts riskieren. Mit Schach, UNO, Lesen und Kochen verbringen wir den Tag in der Hütte.

Tag 7: Versuch Etappe 3 (bis Pizzo Cramosino) und Abbruch

Obwohl sich das Wetter noch nicht viel verbessert hat, wollen wir es heute versuchen. Wir brechen früh auf und begeben uns auf der VAV-Route Richtung Nordnordosten, immer etwa die Höhe haltend. An einer Steinhütte vorbei, die an die Hungeralpen aus „Die schwarzen Brüder“ erinnert, steigt der Pfad nun stetig an. Dani, den wir gestern in der Capanna Efra kennengelernt haben, hat uns überholt. Der Nebel verdichtet sich zunehmends, die Suche nach den weiss-blau-weissen Markierungen wird immer schwieriger. Nur zu dritt schaffen wir es schliesslich, von einer Markierung zur nächsten zu gehen, und auf Sichtdistanz zu bleiben. So erreichen wir den Gipfel des Pizzo Cramosino, der leider nicht aus dem Nebel ragen vermag. Auf 5-6 Stunden Gratkletterei im dichten Nebel haben wir keine Lust, und so beschliessen wir, abzubrechen und ins Tal hinunter zu steigen. Ein Telefonanruf bei Meteoschweiz bestätigt unseren Verdacht: Einige Wolken just über den Gipfel des Valle Verzasca fest – Abwarten hätte wenig gebracht. So steigen wir auf dem gleichen Weg wieder zur Hungeralp und trennen uns von Dani. Für uns geht es weiter Richtung Alpe Costa. Der Pfad dorthin wird offenbar selten begangen; wir kämpfen uns durch Sträucher und Stauden – immer auf der Suche nach einer Wegspur oder nach einem der verblassten Wegmarkierungen. Die Alpe Costa ist wieder eine dieser typischen Verzasceser Alpen mit den niedrigen, komplett aus Steinplatten gebauten Hütten und Ställen in einer rauhen Umgebung jenseits von Verkehr und Infrastruktur. Unvorstellbar, welche Mühe die Bauern früher auf sich nehmen mussten, um für das tägliche Brot zu kämpfen. Über das schmucke Rifugio Alpe Coste (wird zur Zeit renoviert) steigen wir auf dem Normalweg nach Frasco ab. Dort müssen wir uns erst mal wieder an den Verkehrslärm und die Touristen gewöhnen – nach 6 Tagen in der einsamen und ruhigen Bergwelt. Mit dem Postauto fahren wir nach Locarno und nehmen dort den Schnellzug zurück nach Zürich.

Fazit

Eine Fortsetzung wird folgen – das ist klar. Das Fieber der Via Alta della Verzasca hat uns gepackt, und Lust auf mehr gegeben. Diese einsamen, sehr abwechslungsreichen Grate mit einmaligen Tiefenblicken sind wirklich etwas, was ich empfehlen kann. Unsere grösste Sorge – dass wir mit Schwierigkeiten um T5/T6 überfordert sein könnten – erweist sich als unbegründet. Die Route ist bis auf wenige Ausnahmen durchgehend sehr gut markiert. Schwierigere Passagen (besonders in der ersten Etappe) sind oft durch Haltegriffe entschärft. Dies führt mich zur Behauptung, die Via Alta della Verzasca sei, zumindest auf der ersten Etappe, mit T6 eher überbewertet. Trotzdem sollte man die Tour aber nicht unterschätzen. Sicheres Bewegen in steilem Gelände und Schwindelfreiheit werden vorausgesetzt.

Das Konzept mit den unbewarteten Hütten gefällt mir besonders gut. Die Capanna Borgna, die Capanna Cornavosa und die Capanna Efra sind mit sehr viel Liebe zum Detail hergerichtet und ausgerüstet (durch die SEV mit Freiwilligenarbeit). Und wieder mal am Holzherd zu kochen, macht einfach Freude.

Ausrüstung

Tourenrucksack mit Ersatzwäsche, Toilettenartikel, ein Gstältli und eine Reepschnur für alle Fälle, ein Biwaksack (ebenfalls für alle Fälle), GPS-Logger, Kamera, Handy, und Proviant für 7 Tage (vor allem Pumpernikel, Müesli, Milchpulver und Fertigmenues). In allen Selbstversorgerhütten sind Lebensmittel wie Spaghetti, Saucen, Suppen sowie Bier und Wein vorhanden (ein Kässeli steht bereit). Hätten wir das gewusst, dann hätten wir nicht so viel schleppen müssen ;-)

Kartenmaterial / Führer / Buch